Ein Hoch auf die Weiblichkeit

by on Mai.31, 2010, under Bücher, Erzählungen, Gesellschaft

Zwei Ermittler stoßen in einer verlassenen Wohnung auf die tagebuchähnlichen Aufzeichnungen einer Unbekannten. Beim Durchsehen der Papiere gewinnen sie ein Bild von der Frau, deren Berichte geprägt sind von Neurosen, Unsicherheiten, Selbstzweifeln und den bitter gefärbten Schilderungen alltäglicher, aus weiblicher Sicht empfundener Aspekte des Lebens. Kapitel für Kapitel arbeiten die Ermittler sich durch das scheinbar zusammenhanglose Material und empfangen langsam das vage Bild eines verworrenen Geistes, der erfüllt ist von Unsicherheit, Selbstzweifeln und für die Erzählerin unüberwindlichen Hindernissen. Die Frage nach ihrem Verbleib kann nicht gelöst werden, bevor die Aufzeichnungen einen direkten Hinweis auf weiterführende und unerwartete Komplikationen ergeben.

Erschienen im AAVAA Verlag 2010

Erhältlich als:

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Leseprobe:

„Ein merkwürdiger Fall.“ Elena schüttelte ihren Kopf, teils aus Missmut über die ihr zugemutete Arbeit, teils aus der immer wieder neu auftretenden Verwunderung, die sie im Verlauf ihrer Ermittlungsarbeiten überfiel. Der Kollege warf ihr einen verständnisvollen Blick zu. Konstantin war schon erheblich länger im Dienst. Auch wenn es sich bei Elena beileibe um kein unbeschriebenes Blatt handelte, so hatte er ihr doch an Erfahrung und bereits Gesehenem einiges voraus.

„Das sind sie immer“, brummte er und bückte sich, um mit seiner Pinzette einen Fussel vom Teppich zu sammeln und sorgsam in eine Plastiktüte zu verpacken. Vergebliche Liebesmüh, soviel war klar. Aber nichtsdestotrotz sollten sie sich wenigstens den Anschein geben, als fassten sie mehrere Spuren ins Auge.

„Was ist das?“ Elena kniff die Augen zusammen, als sie vorsichtig die Tür zu einer Abstellkammer aufschob, die sich mit einem auffallenden Quietschen gegen den Angriff zu wehren schickte.

Sie rümpfte die Nase, als ihr eine Wolke Staub entgegen stieg. „Um Himmels Willen“, murmelte sie und schickte Konstantin einen verzweifelten Blick. Dieser verzog den Mund zu einem kurzen Lächeln, drängte sich dann an ihr vorbei und mit Hilfe des Einsatzes seines Körpergewichtes gelang es ihm, die Tür vollkommen aufzustoßen. „Was für ein Haufen“, seufzte er, als er die Papiere erblickte, die sich entlang der Wände aufstapelten.

„Ein Zwangscharakter“, vermutete Elena. „Jemand, der nichts wegwerfen konnte.“ „Zumindest keine Papiere“, ergänzte Konstantin. „Der Rest der Wohnung wirkt sorgfältig gepflegt.“

Elena betrat den Raum, nahm ein paar Blätter auf und runzelte die Stirn. „Keine Zeitungen. Offenbar Notizen.“

Sie nieste, als das Anheben eines weiteren Stapels noch mehr Staub aufwirbelte. „Sinnloses Kauderwelsch. Ob uns das weiterhilft?“

Konstantin zuckte mit den Schultern. „Irgendjemandem wird es weiterhelfen. Zur Not dem Polizeipsychologen.“ „Hier!“ Elena nahm einen Schnellhefter aus dem Regal. „Manches ist getippt.“ Ihr Blick fiel auf die Schreibmaschine in der Ecke. „Das dürfte es zumindest einfacher machen.“ Sie reichte ihrem Kollegen den Hefter, der ihn kritisch beäugte und dann damit den dämmrigen Raum verließ. „Ich schicke den Fotografen“, sagte er über die Schulter und stöhnte. „Sollte mich nicht wundern, wenn der Papierkram wieder an uns hängen bleibt. Und das meine ich in doppelter Hinsicht.“ Kopfschüttelnd betrachtete Elena die unzähligen aufeinandergestapelten und durcheinander flatternden Blätter, die jeden freien Zentimeter des Raumes bedeckten, hob wahllos eines auf und überflog es rasch.

Kapitel 15

Geburtsbericht

Es ist an der Zeit, ein wenig Klarheit in einen weit verbreiteten Mythos zu bringen. Und so wie es aussieht, wagt mal wieder niemand, die Herausforderung anzunehmen. Niemand außer mir, selbstverständlich, denn ich scheue von Natur aus kein Risiko. Zusätzlich – und um der Wahrheit die Ehre zu geben – habe ich auch nichts zu verlieren. Keinen guten Ruf, denn so etwas kenne ich nicht. Keine Selbstachtung, denn darunter litt ich noch nie, und kein Schamgefühl. Letzteres kam mir schon vor langer Zeit abhanden.

Zur Geburt also – dem schönsten Augenblick des Lebens.

Ich habe mich mutig diesem Selbstversuch unterzogen und muss gestehen: es ist nicht das, was es vorgibt zu sein. Mit klareren Worten: es ist ziemlich daneben. Ein Wunder? Vielleicht. Aber dabei sollten wir nicht vergessen, dass dieses Wunder bereits Monate zuvor die eigene Existenz gewissermaßen erschwert.

Selbst wenn ich wollte, wüsste ich nicht einmal, wo ich mit der Schilderung der Probleme beginnen sollte. Diese Erfahrung gönne ich jedermann selbst, mit der Betonung auf ‚Mann‘.

Wadenkrämpfe seien hier nur am Rande erwähnt, da ich glücklicherweise von dunkleren Aspekten der Schwangerschaft verschont blieb, und mir lediglich meine eigenen, schrillen Schmerzensschreie in den Ohren gellen, wenn ich an soeben erwähnte Unpässlichkeiten denke.

Natürlich kein Vergleich zu dem Akt an sich.

Wir alle wissen, was passiert. Wir alle wissen, dass es schmerzt – dank Eva. Und uns allen ist ein gewisses Unbehagen gemein, bei Gedanken, die in diese Richtung führen.

Ein Glück, dass die Natur uns – Rache an Eva zum Trotz – mit Hormonen ausgestattet hat, denen es gelingt, die Ängste ein wenig zu dämpfen. Im Grunde bleibt ihnen auch kaum etwas anderes übrig, denn lässt man der Sache ihren natürlichen Lauf, so kommt es früher oder später zu dem Unvermeidlichen.

Und natürlich läuft eine gewisse Vorbereitung mit, die uns erklärt, deutet und hilft. Ebenso wie die regelmäßigen Untersuchungen, die extrem nervig, aber dann wohl doch irgendwo sinnvoll sind. Alles dient der subtilen Gewöhnung an die drohende Zukunft. Sowie auch die gelegentlichen Ausflüge in gemütliche Gymnastiktreffen, die entscheidende Hinweise, wie die heilbringende Wirkung simpler Übungen, wie des Kreisens der Füße, dem unwissenden Anfänger nahebringen. Interessant wird es auch, wenn Frau von Muskeln und Teilen ihres Körpers erfährt, die sie nie zuvor wissentlich wahrgenommen hat. Geheimnisse, wie die des Beckenbodens, auf einmal von unglaublicher Bedeutung sind, ohne dass man je ahnte oder auch nur wissen wollte, worum es sich bei diesem Begriff drehte.

Aber besonders witzig sind natürlich die aufklärenden Abende, in denen Mann und Frau gemeinsam auf das Ereignis vorbereitet werden. Witzig vor allem, wenn Frau sich ohne Mann dorthin begibt. Mag sein, dass die Großstadt mehr Gleichgesinnte aufweist, doch auf dem Lande ist die alleinstehende Frau doch immer noch ein Fall für mitleidige Blicke und aufmunternde Bemerkungen. Wie grausam, in dieser bedeutendsten Stunde des Lebens ohne männlichen Beistand sein zu müssen. Es sei denn, Frau legt keinen Wert auf denselben. Nur kann sich die Allgemeinheit mit einer Möglichkeit wie dieser meist nicht anfreunden. Gibt die verlassene Frau, das gefallene Mädchen, doch immer noch ein zu schönes Bild ab.

Aber vielleicht liegt es nur wieder an mir alleine, dass ich den Gedanken, ein Mann – egal welcher es sein sollte — sähe bei dieser Sache zu, nicht unbedingt als tröstlich empfinde. Ich denke, auch George Clooney sollte im Vorraum warten, wenn es nach mir ginge, genau wie in der guten alten Zeit, mit der Zigarre in der Jackentasche.

Aber so ist es natürlich nicht mehr. Mann hat gefälligst dabei zu sein. Und ist Mann nicht da, so gilt die Frau als bedauernswertes Häufchen Elend. Was sie fraglos auch ist, spätestens wenn die Wehen einsetzen. Aber eigentlich ist die Sache schon davor nicht mehr lustig. Zum Beispiel von dem Moment an, an dem Frau keine Treppe mehr hinaufkommt, ohne bis an den Rande der Erschöpfung zu gelangen. Oder von dem Augenblick an, an dem sie erkennt, dass der Weg, den sie so kurze Zeit zuvor noch munter gehüpft ist, sich zu einer unüberwindlichen Strecke ausdehnt. Ja, die Kurzatmigkeit, die Müdigkeit und das permanente Bedürfnis, ein gewisses stilles Örtchen aufzusuchen, entwickeln sich zu den vorherrschenden Freuden der Schwangerschaft. Und das derartig ausgiebig, nachdrücklich und intensiv, dass die klassische Schwangere irgendwann nicht mehr versteht, warum sie einst bei dem Gedanken an die Geburt in kalten Schweiß ausgebrochen ist. Nein, so langsam sieht es aus, als gliche der Moment der Geburt eher einer Erlösung, als dem blutigen Schrecken, der erwartet wird. Ja, nach und nach verschwinden Bedenken. Nach und nach überwiegt einfach der Wunsch die Kugel loszuwerden, die Frau unter steigender Anstrengung durch die Gegend trägt. Denn es wird definitiv nicht besser.

Und laufen die Umstände auch noch besonders positiv zusammen so fällt die Schwangerschaft in heiße Sommermonate. Ein Umstand, der gleichbedeutend ist mit stundenlangem vergeblichem nächtlichen Herumwälzen in verschwitzten Laken. An einen gesunden Schlaf ist definitiv nicht mehr zu denken. Natürlich weiß die Betreffende, dass auch nach der Geburt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr viel mit Schlaf zu rechnen ist. Doch in einem Augenblick wie diesem, in dem ständiger Harndrang sich abwechselt mit Erschöpfung und der Unfähigkeit, ein Auge zuzutun, erscheint die Vorstellung von auch nur wenigen Minuten ungestörter Ruhe als kostbares Gut, für das es sich lohne, die kleine Unannehmlichkeit einer Entbindung auf sich zu nehmen. Zumal damit zu rechnen war, dass diese zeitlich begrenzt sein dürfte. Ganz im Gegensatz zu den sich in unendliche Länge dehnenden Wochen und Tagen vor einem im Unsicheren liegenden Termin.

Nun, irgendwann ist es dann soweit, und der Moment wird begrüßt mit einer Mischung aus gesundem Respekt und erleichtertem Aufatmen. Sofern der Schmerz atmen lässt. Aber meist hält sich dieser ja zu Beginn in Grenzen, lässt dem Opfer Zeit, eine mehr oder minder lange Zeit darüber nachzudenken, ob es sich nun um tatsächliche erste Hinweise handelt, oder ob Frau nur wieder einer neuen Art von schwangerschaftlicher Unpässlichkeit aufsitzt.

Wie dem auch sein, früher oder später landet die durchschnittliche Gebärende doch im Krankenhaus. Auch wenn es, wie in meinem Fall, zwei Anläufe brauchte. Wenn das charmante Personal mich mit der Bestätigung, dass es wirklich soweit war, wieder nach Hause schickte, davon ausgehend, dass noch viel Wasser den Fluss hinunterflösse, bevor die Sache tatsächlich ernst wurde.

Und so war es dann auch. Zwar war ich bereits ein wenig erschöpft. Zwölf Stunden Bauchschmerzen in regelmäßigen Wellen, die mich davon abhielten, ein Auge zuzutun, hatten bereits ihre Spuren hinterlassen. Dankbar nahm ich die wohlmeinenden Ratschläge an, wendete Kräuter und Bäder an. Doch nichts davon brachte eine Verbesserung, was daran liegen mag, dass mir von jeher nichts lieber war, als mein Platz im Bett.

Somit lässt sich auch erklären, dass beim zweiten Versuch, als man mich tatsächlich in der Klinik aufnahm, das Angebot der Badewanne keinerlei Attraktivität für mich beinhaltete. Ganz ehrlich. Baden? Vor allen Leuten? Und das Kind, unter Wasser? Irgendwie war mir die Sache nicht geheuer. Und natürlich wählte ich das Bett. Ein definitiv schönes, großes Bett. Beruhigende Instrumente, die piepten, eine freundliche Hebamme und ein charmanter Arzt, die sich beide vornehm zurückhielten, was meinem eigenen, ruhigen Wesen ziemlich entgegen kam.

Doch bis es soweit war, musste ich zuerst die Treppen hinauf, was sich als einigermaßen schwierig herausstellte. Wieso ich eigentlich die Treppen wählte, ist eine interessante Frage, auf die ich keine Antwort mehr weiß. Bei meinem persönlichen Glück liegt wohl nahe, dass der Fahrstuhl ausfiel.

Zumindest musste ich hin und wieder anhalten, stoppen, pausieren. Mich gegen die Wand lehnen und in erlernten Atemzügen, in der trainierten Stellung dem Schmerz entgegenwirken.

Denn mittlerweile konnte man die Sache durchaus als Schmerz bezeichnen. Ziemlich eindeutigen Schmerz. Und dazu kam ein leichtes Genervt-Sein durch die bloße Tatsache, dass dieser dämliche Schmerz andauerte und andauerte und offenbar noch nicht einmal annähernd im Begriff war zu verschwinden. Wer kann es mir also verdenken, dass ich zwischen zusammengepressten Zähnen mühsam die Bitte hervor quetschte, man möge mir doch um Himmels willen etwas gegen die Schmerzen geben, irgendetwas. Ich war nie gut im Schmerzen aushalten. Und das dauerte nun auch schon eindeutig zu lange. Über 24 Stunden Wehen gingen an die Substanz.

Gott und den Ärzten sei gedankt, bot man mir die Lösung auf dem Silbertablett. Zwar beschlich mich ein leises Unwohlsein während des Aufzählens von Gefahren und Nebenwirkungen oder dem Gedanken, dass man mir eine Nadel ins Rückenmark piksen wolle, aber ganz ehrlich, eine Entscheidung konnte man dies nicht mehr nennen. Manchmal muss Frau tun, was getan werden muss, und in diesem Fall musste eben ein Übel gegen ein anderes eingetauscht werden.

Und natürlich passierte nichts. Natürlich ging alles gut. Man schloss mich an, man stach mich an, kleidete mich in eines dieser merkwürdig offenen Krankenhaushemden, und dann ließ man mich doch tatsächlich zufrieden. In diesem schönen, großen Bett. Dazu sollte gesagt werden, dass ich seit Jahren kein akzeptables Bett mehr besaß. Schon gar keins mit einer akzeptablen Matratze. Ohne die Bauchschmerzen wäre es eine direkt angenehme Erfahrung geworden.

Aber auch so war es interessant. Eine Duftlampe verbreitete Stimmung, gedämpftes Licht sorgte für Gemütlichkeit. Und da ich ohnehin nirgendwo ohne ein Buch hingehe, brachte ich mir selbstverständlich auch zu diesem Anlass eines mit. Immerhin galt es, noch weitere Stunden totzuschlagen. Und da konnte etwas Lesestoff nicht schaden.

Ich kann nicht sagen, worüber sich Hebamme und Arzt in gemeinschaftlichem Erstaunen mehr wunderten: über mein Auftauchen ohne Mann oder wenigstens Mutter, der ich beim besten Willen diese Tortur nicht zumuten wollte, oder über das Mitbringen eines Buches, und auch noch eines der etwas härteren Art. Krimi, mit Mord und Totschlag, erinnerte möglicherweise nicht allzu sehr an Babyglück und Mutterschaft.

Aber was sollte ich machen. Noch war ich nicht Mutter. Und mehr als alles andere störte mich die Erkenntnis, dass ich nicht in der Lage war, das mitgebrachte Buch überhaupt aufzuschlagen, geschweige denn der Handlung zu folgen.

Denn dummerweise erwies sich die ganze Geburtssache dann doch als anstrengender, als ich vermutet hatte. Nicht nur, dass es lange dauerte, die Prozedur ließ mich auch hilflos, atemlos und wie einen Käfer auf dem Rücken liegend in einem großen Bett zurück.

Ja, es wurde nicht unbedingt besser. Ich verfolgte den Zeiger der Uhr, der unweigerlich vorwärts rückte. Vielleicht verschwendete ich den einen oder anderen Gedanken an das Fernsehprogramm, das ich versäumte. Vielleicht hing ich auch einfach nur erschöpft in den Seilen.

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